Autismus - Eindrücke von jenseits der geheimnisvollen Mauer

Gesellschaften seien Kontinente, dann sind Autisten wie Inseln. Kaum eine Insel gleicht der anderen. Ihre einzige Gemeinsamkeit ist das Sein als Insel. Während die meisten auf ihrer Insel verbleiben, bin ich in meinem Leben stets aufgebrochen, um die Kontinente zu entdecken. Ich musste dabei aber immer wieder zurück auf meine Insel, denn nur dort gibt es das was ich brauche zu meinem Leben: Land, in dem meine Regeln gelten und damit die Oase der Ruhe, meine Kraftquellen des Lächelns.

Sich als Autist in der Gesellschaft zu bewegen, das ist nach meinem Empfinden ungefähr so als wenn man schwul ist und Kinder haben will. Es geht, aber eben nicht auf üblichen Wegen! Wer neue Wege finden will, muss ohne Wegweiser auskommen!

Autismus ist wie eine geheimnisvolle, unsichtbare Mauer. Sie blockiert in mir den emotionalen Zugang zu allem was zwischenmenschlich abläuft. Und das bringt viele Nachteile mit sich, die ich ohne dieses Problem nicht hätte. Auch wenn man das dieser Website und etlichen Medienauftritten nicht ansieht, darunter leide ich insofern, dass sich dadurch bei mir immer wieder ein bizarrer Emotionscocktail aus Frust, Trauer, Wut und Verzweiflung einstellt.


Peter in den 60er Jahren. Der Blick nach unten gerichtet.
Es gab viel Schnee. Und der war herrlich ruhig und weichbergig.

Ausschnitt aus der RTL-Sendung "Doktor, Familienvater und Autist"

Peters Autonummernhefte. In den frühen 70ern notierte er im Dorfe
die Kfz.-Z. aller Autos, die er sah und vogelflatternd begrüßte.

Peter, wie er in den 70ern mit sich allein als Auto, dessen Lenkrad
er in den Händen hält, die Welt, die für ihn aus Straßen besteht,
entdeckt. Niemand außer ihm sah das Lenkrad, das ihm Halt gab.

Matchboxautoschlange in Peter's
Straßenwelten auf den Hofplatten.

Peter zeichnete und strukturierte alles was er in Atlanten
und Astronomiebüchern fand, hier die Flaggen der Länder der Erde.

Sehnsuchtsblick an der Ostgrenze von Geolucia
ins unverstandene Land der Menschen, Deutschland.

Mit einem Besuch des Hamburger Fischmarktes begann für Peter
Ende der 70er-Jahre das rückwirkende Sammeln der Bessy-Hefte.
Er fand in der internetlosen Zeit alle 992 erschienenen Ausgaben!

In den 80er Jahren wuchsen in seinen Schulbüchern ganze
Straßenlandschaften, die jüngst auch auf Kunstausstellungen
in Kassel und Hannover gezeigt wurden.

"Seine Kinderbilder verraten es...", so begann 2007 eine Reportage
über Autismus, in der dies und andere Bilder gezeigt worden sind.

Keine Gesichter, dafür aber die Strukturen der Wandbefliesung,
was eine psychologische Aussage über die Wahrnehmung ist, mit
unsauberer Pinselführung, die die motorische Ungeschickheit
dokumentiert, so malte Peter als 11jähriger in den 70er Jahren.

Bizarres Selbstporträt von 1982, das Gesicht des Glühbirnenerfinders
Edison hat Peter mittels Rastertechnik aus dem Buch "Menschen, die
die Welt veränderten" abgepaust.

Das Bild zeigt die gefühlte Einkapselung mitsamt
der Startbahn auf einer erdfernen Planetenheimat.

Jedes Jahr dasselbe Ritual:
Sammeln des Schnees zu einem Hillum of Snow,
der möglichst lange halten sollte.

Die zurückgebliebene Vergletscherung
im Frühjahr in den 80er Jahren.

Umschlag eines denkwürdigen Liebesbriefes.
In größtmöglicher Landferne reifte Liebe
durch ozeanische Trennung. Eine Sehnsucht ging in Erfüllung.

Peter mit den Menschen, die ihm den Rücken von dem freihielten,
was er nicht gut kann. Dazu gehört zum Beispiel das Obstschälen.
Peter hat nie alleine leben müssen,
seine Frau Martina ersetzte quasi nahtlos seine Mutter.


'Waaaaaaassss, deeeeerr?', hieß es nicht selten! 'Ja, der!', ich bin stolz auf das was ich erreicht habe. Ich habe begriffen, dass das was auf dieser Website von mir zu sehen ist, für einen Menschen mit auf Dauer unversteckbarem Autismus alles andere als üblich ist. Dennoch würde ich gerne noch mehr erreichen. Mal schauen, inwieweit mir dies noch gelingt.

Ich komme nicht richtig ran an die anderen und andere kommen nicht richtig ran an mich. Die einen bestaunen mich, weil sie fassungslos vor dem stehen, was ich mache, weiß oder wie ich auf eine Situation reagiere. Die anderen können mit mir aus den gleichen Gründen nichts anfangen. Und nach wie vor gibt es viel zu viele Menschen, die aus Ermangelung an Toleranz und Akzeptanz menschlicher Vielfalt manche Verhaltensweisen, die ich habe, missbilligen, weil ich vieles einfach anders als sie sehe oder mache.

Im Jahre 2007 erstarrte ich, als ich las, dass Menschen Emotionen und soziale Regeln auf einer Frequenz in der Sprache non-verbal kommunizieren, für die ich kaum Empfang habe. So als wenn Sehende andauernd einem Blinden die bunte Welt beschreiben, ohne dass der wirklich weiß was Farben sein sollen. Und als ich weiterhin las, dass stereotype Bewegungen, wie ich sie von mir kenne, und Schwierigkeiten mit Abweichungen von Ritualen und Plänen und mehr geradezu klassische Merkmale von Autismus seien. 'Genau das was du immer warst und bis heute bist, nennen die Menschen Autist!', der Schock saß tief. Ganz allmählich stellte sich aber auch Erleichterung ein, denn endlich verstand ich mich nicht nur in Relation zu anderen, sondern auch selbst.

Autismus ist für mich eine ernste Sache. Es ist ein Sammelbegriff für eine Reihe von Abweichungen von der Norm, die grundsätzlich für die ganzheitliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nachteilig sind. Weil diese Dinge als Störung des Normalen wahrgenommen werden. Viele Autisten haben Stärken, mit denen sie nicht glänzen können, weil sie von den autismusbedingten Problemen aus der Sicht der anderen verschattet und damit wie die Sonne bei einer Sonnenfinsternis nicht gesehen werden.

Echter, klinischer Autismus stellt somit eine Behinderung dar. Ich lehne allerdings den Begriff Krankheit ab, weil er suggeriert, dass es eine Heilung geben kann oder geben könnte. Mittlerweile spricht die Fachwelt vom sogenannten autistischen Spektrum. Darunter fallen mittlerweile auch Menschen, die nur einige der autistischen Merkmale zeigen, die ich von mir kenne, was aber vor allem bei niedriger Intelligenz ausreicht, die sozialen Anforderungen der heutigen Gesellschaft nicht mehr zu erfüllen.

Kriterienlisten, die Symptome des Autismus listen, sind der wissenschaftlich theoretische Versuch, etwas scheinbar noch nicht wirklich Fassbares zu beschreiben. Insbesondere sind es notwendige, aber keine hinreichenden Kriterien für eine saubere Identifikation von Autisten. Hochintelligente Menschen mit einem ausgeprägtem Autismus, zu denen ich auch gehöre, können ihr Leben weitestgehend alleine bestreiten, vorausgesetzt, im engeren Umfeld gibt es geeignete Rahmenbedingungen und Menschen, die ihnen die Dinge abnehmen, an denen sie sehr verzweifeln würden. Denn erst das schafft Raum, eigene Stärken auch aufblühen lassen zu können.

By the way, etliche Filmfiguren bzw. Menschen wie z. B. Forrest Gump oder Sheldon Cooper (Big Bang Theory), die immer mal wieder als Autisten klassifiziert werden, sind für mich allerdings keine Autisten im Sinne meiner Problemlage. Sie teilen auch nicht die typische Problemlage wirklich zweifelsfrei autistischer Menschen. Forrest Gump hat einfach nur einen niedrigen IQ, Sheldon Cooper ist geekig oder nerdig. Beides kommt im Zusammenhang mit Autismus durchaus vor, macht aber keinen klinisch-relevanten Autismus aus. Für eine Einordnung ins autistische Spektrum scheint es neuerdings für einige zu reichen, aber dann wäre nicht jeder Mensch, der einem so definierten "autistischen Spektrum" zugeordnet wird, ein Mensch mit Autismus im engeren Sinne.

Es ist zwar eine fiktive Story, und ich mag normalerweise keine erfundenen Geschichten. Aber es gab beim Stammtisch von Mensa Rhein-Main jemanden, der hat darauf bestanden, dass ich es lese, weil es mich einfach interessieren müsse: das Buch "the curious incident of the dog in the night-time" von Mark Haddon. Der Zugang zu mir ist schwer. Es dauerte lange, bis ich über die ersten Seiten hinaus kam, denn was interessiert mich, wie jemand herausfindet, wer so einen ollen Köter ermordet hat....

Nachdenkliche Stille erreichte mich, als ich in Kap. 19 die Anweisung zur Primzahlenbildung las, denn sie ist nicht gelungen. Wenn man bereits alle Zahlen, die durch 2 teilbar sind, herausgestrichen hat, sind die Schritte "then you take away all the numbers that are multiples of 4" und später das gleiche mit 6, weil ja vorher schon 2 und 3 dran waren und damit auch 6, usw. nicht mehr auszuführen, denn die sind doch bereits erledigt...

An alle, die wirklich wissen wollen, was Autismus ist, darin steht es! Meine Empfehlung! Wenn, dann möglichst nur die englische Ausgabe lesen! Die bringt es auf den Punkt! Wie kein anderes Buch, das es bisher gibt und das ich kenne.

Ein Hinweis: Sie finden auf fremden Internetseiten und auch auf dieser Seite die eine oder andere Präsentationsunterlage von Vorträgen, die ich allein oder zusammen mit meiner Frau irgendwo gehalten habe. Bitte beachten Sie, dass online gestellte Vortragsskripte einem Copyright unterliegen, also nur zum eigenen Gebrauch bestimmt sind und insbesondere keine vollständigen Unterlagen darstellen, also beim Zitieren die Gefahr besteht, Dinge aus dem Zusammenhang zu reißen.

Die PowerPoints unterstützen wie Brückenpfeiler in der Landschaft eine Brücke. Die Brücke ist dabei immer erst der Vortrag selbst. Mir ist es wichtig, dass das Thema Autismus nicht zum allbestimmenden im Leben wird, sondern eine Facette unter vielen bleibt. Das scheint auch das zu sein was mich für Außenstehende so interessant macht.



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